Lerntechniken am Abendgymnasium Viersen

Norbert Bolz schreibt in "Gesellschaftliche Entwicklungtrends und ihre Bedeutung für die Weiterbildung"
(Soest 1996, S.35 f), dass sich die Lernzeit immer deutlicher zwischen die Arbeitszeit und Freizeit schiebt.
Der zunehmenden Bedeutung des Lernens, vor allem aber des Lernen-lernens, müssen dementsprechend
auch die Schulen des ZBW Rechnung tragen.

Da die meisten Studierende mehrere Jahre aus dem schulischen Lernprozess heraus sind, sollten ihnen Hilfen
geboten werden, um die Anfangsschwierigkeiten zu meistern. Dies könnte u.a. auch einer höheren Abbrecherquote
entgegenwirken.

 

Einführungskurs

Am Weiterbildungskolleg Abendgymnasium Viersen habe ich Ende der Neunziger Jahre für die neuen Studierenden im ersten und zweiten
Semester eine Einführung in die Lerntechniken für Erwachsene angeboten. Da die Stundenplangestaltung keine festgeschriebene
Wochenstunde für jedes Einstiegssemester ermöglichen konnte, musste ich in den ersten Wochen von meinen KollegInnen
Fachstunden nehmen.

Konkret sah das so aus, dass ich nach den ersten Wochen in Absprache mit dem Stundenplangestalter und den
Fachlehrerinnen und Fachlehrern Stunden suchte, in denen ich anstelle des regulären Fachunterrichtes die Einführung
in die Lerntechniken gab. Dabei bemühten wir uns darum, kein Fach übermässig oft als Austauschpartner zu nehmen.
Da ich teilzeitbeschäftigt war, ergaben sich diesbezüglich wenig Probleme.

In 6 Unterrichtsstunden versuchte ich, den Studierenden möglichst viele Lerntechniken vorzustellen, allerdings musste ich
aus Zeitmangel auf ausführliche Begründungen und Hintergrundinformationen verzichten.

Das zugrundeliegende Konzept umfasste die Schwerpunkte Lernatmosphäre, Gehirn und Gedächtnis, Lerntypen und
spezielle Lerntechniken und Fertigkeiten. Diese Hauptäste der Mindmap, die ich in diesen Stunden erarbeitete, verzweigten
sich im Laufe der Unterrichtsreihe immer weiter. Mit dieser Vorgehensweise demonstrierte ich den Studierenden den Vorteil
des strukturierten Lernens und die Methode des Mindmapping.

Andere Techniken konnten aufgrund der geringen Zeit von mir nur referiert werden, z.B. Lernkartei, Loci-Methode, Mnemotechnik.

Die Bedeutung von Motivation und Zielen für das Lernen brachte ich durch den Film "Das Jodeldiplom" von Loriot nahe.
Auch Folien von Comicdarstellungen zu Lerntipps zeigten, dass die Freude beim Lernen nicht fehlen darf.

Einen großen Raum sollten gerade beim Thema Lernen die Eigenaktivitäten der Studierenden einnehmen.
Leider fehlte in dieser Kurzsequenz oft die Zeit, Gedächtnis- und Lerntypentests und Entspannungs- und Konzentrationsübungen
ausführlich durchführen und üben zu lassen.
Für interessierte Studierende bot ich deshalb Zusatztermine außerhalb der Unterrichtszeit an.

Die Fertigkeiten, die Studierende für Referate, Textarbeit, Mitschrift und Prüfungen brauchen, standen am Ende der
Unterrichtssequenz und wurden anhand von Arbeitsmaterialien erarbeitet. Eine Vertiefung sollte dann später durch die
FachlehrerInnen erfolgen.

Zum Abschluss möchte ich noch einige persönliche Erfahrungen mitteilen.

Zu Beginn der Unterrichtssequenz wurde ich oft von Studierenden gefragt, ob sie an dieser Veranstaltung teilnehmen
müssten oder ob es eine Note für diesen Kurs gäbe. Dies zeigt m.E. deutlich, dass ein tradiertes Bild von Schule in den
Köpfen vieler Studierender vorherrscht, das wir erst aufbrechen müssen. Sie sehen nicht, dass sie freiwillig die Schule
des ZBW besuchen und nur von ihr profitieren können, wenn sie Eigeninitiative ergreifen und sich nicht nur durch äußere
Regeln führen lassen. Sie gilt es in erster Linie zu erreichen, damit eventuell bestehende falsche Lerntechniken
(z.B. einen Tag vor der Klausur anfangen zu lernen) direkt angesprochen werden können. Deshalb ist es m.E. günstig,
die Stunden so zu legen,dass es keine Randstunden sind und somit der Anreiz des Schwänzens nicht ganz so groß ist.
Allerdings sollte man bedenken, dass eine erzwungene Teilnahme zu keinem Lernerfolg führt, denn
 

nur wer lernen will kann auch lernen.
 

Außerdem ist gerade am Anfang der organisatorische Aufwand vieler Studierender sehr groß, so dass sie
verständlicherweise Freiräume gerne als zusätzliche Zeit in ihrem ungewohnt schmalen Zeitbudget sehen.
Leider lassen sich solche Einstellungen nicht innerhalb kürzester Zeit aufbrechen, so dass
an den letzten Stunden meiner Unterrichtsreihe nur noch ungefähr die Hälfte der Studierenden teilnahm.

Gespräche mit Studierenden höherer Semester ergaben, dass sie von dieser Einführung profitiert haben,
sei es durch die Auffrischung und Bestätigung bereits bekannter Lerntechniken oder durch einige neue Tipps,
die sie später erfolgreich ausprobiert haben.

 

Projektwoche

Eine an unserer Schule weiterentwickelte Variante, eine Projektwoche zum Thema "Lern- und Arbeitstechniken"
nach den Herbstferien, in der alle Fachlehrerinnen und Fachlehrer schwerpunktmäßig das Lernen thematisierten,
wurde von den Studierenden in der Evaluation als zu lang und mit zu häufigen Wiederholungen besetzt abgelehnt.

 

Integration im Fach Erdkunde

Als Konsequenz führte ich einen "zweigleisigen" Erdkundeunterricht durch, in dem fachlich
die USA im Mittelpunkt stand, ein Thema, das bei uns in der Oberstufe nicht unterrichtet wird. Lern- und arbeitstechnisch
wurde in Kleingruppen zu verschiedenen Themen selbstständig Material in der Bibliothek und im Internet gesucht und
aufgearbeitet. Am Ende der Reihe stand die Präsentation der Arbeitsergebnisse vor dem Plenum und auf unserer
Homepage.

Dieses Konzept wurde von den Studierenden positiv bewertet. Sie erkannten, dass sie sich durch die intensive Beschäftigung mit einem Thema spezialisierten, als Fachleute Anerkennung bekamen und ihre eigenen Stärken und Schwächen erfahren hatten. Einige erfuhren während ihrer Arbeit ein "flow-Erlebnis", sie vergaßen Zeit und Raum und erlebten Glücksgefühle beim Lernen und Arbeiten. Dies schafft Motivation und ein positives Arbeitsklima - wichtige Rahmenbedingungen für das Lernen.

 

Lerntechniken für Erwachsene - Konzept

Lernatmosphäre

- äußerer Rahmen (Arbeitsplatz, Zeitplanung, Stress, Ernährung)
- innere Einstellung (Motivation, Ziele, Entspannung, Hemmungen, Pausen, positive Grundeinstellung)

Lerntypen und -arten

- visuell - lesen
- auditiv - hören, sprechen
- haptisch - handelnd

Gedächtnis / Gehirn

- behalten und vergessen (Wiederholungen, Überlagerungen)
- Gedächtnistraining
- Konzentrationsübungen (Brain-Gym, Konzentrationsspiele)

Lerntechniken

- Assoziationstechnik (Mnemotechnik, Locitechnik)
- Strukturierung
- Lernkartei
- Mindmaps
- fachspezifische Lerntechniken
- Texte lesen
- Mitschriften
- Referate
- Prüfungen / Prüfungsangst
 
 
 
 

Literaturliste "Lerntechniken für Erwachsene"

G.Beyer, Brain-fitness, Düsseldorf 1994

Lernmethoden - Lehrmethoden, Friedrich Jahresheft 1997

Landesinst. für Schule & Weiterbildung, Lernen lernen, Schularbeiten Heft 3 Nov.1990

M.Müller, Lernen lernen in: Wege der Weiterbildung 12, 1995

I.Müller / C.Reimer, Wie organisiere ich mein Lernen?, in: Die Deutsche Schule 1996 Heft 4

W.Endres / E.Bernard, Voll bei der Sache, München 1994

Kliebisch, Psycho-Coaching, Hohengehren, 1996

F.Vester, Denken, Lernen und Vergessen, München 1978

F.Vester, Phänomen Streß, Stuttgart 1976, 13. Aufl. 1993

J. Ceh, Optimales Lernen, Landsberg am Lech 1985

F.Hülshoff / R.Kaldewey, Training - Rationeller Lernen und arbeiten, Stuttgart 1976

M.Hasselhorn, Wirkungsvoller lernen und arbeiten, Heidelberg/Wiesbaden 1988

W.F.Kugemann, Lerntechniken für Erwachsene, Reinbek 1987

J.Ceh, Besser denken, besser lernen, Landsberg am Lech 1988

W.Zielke, Techniken für ein besseres Gedächtnis, München 1989

N.Bolz in: Landesinstitut für Schule und Weiterbildung (Hrsg), Gesellschaftliche Entwicklungstrends und ihre Bedeutung für die Weiterbildung, Soest 1996
 
 

 


 
 

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aktualisiert am 25.9.2007